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Der deutsche Begriff "Völkerwanderung" ist sowohl sprachlich als auch ideologiekritisch hinterfragt worden und hat sich dennoch im allgemeinen Sprachgut durchgesetzt. Die Varianten der französischen Forschung sprechen lieber (übersetzt) von einer germanischen Invasion oder der Invasion der Barbaren - in Anlehnung an den griechischen Begriff für alles Fremde.
Gemeint ist die Tatsache, dass ab dem 4.Jh. kriegerische Landnahmen Bewegung in die vorhandenen Siedlungsgebiete (des Westens) brachten und damit auch die bestehende Reichsordnung der - römischen - Spätantike ins Wanken brachten. Was als "Wanderung" heute nachvollziehbar ist, sind Heere und Heeresteile, die - mit unbewaffneten Menschen, auch Frauen und Kindern, im Gefolge - in bewohnte Gebiete eindrangen. Die Invasoren waren selbst bereits durchaus ethnisch gemischt (also nicht unbedingt "Völker" im Sinne gemeinsamer Abstammung). Auf ihrem Zug nahmen sie Menschen anderer Abstammung mit auf und vereinten auch im jeweiligen Siedlungsgebiet unterschiedliche "Völkergruppen" oder "Abstammungsgemeinschaften" (lat. gentes) unter einem gemeinsamen Etikett wie zum Beispiel "Westgoten".
Die Bewegungen setzten im Osten ein, wo die Goten sich bereits zum Ende des 3.Jh. spalteten - in West- und Ostgoten (im Nordwesten des Schwarzen Meeres). Doch die nachhaltigen Unruhen begannen erst ein Jahrhundert später, als Reiterheere aus China (die Hunnen) die Völkergruppen des Ostens zerstörten oder zur Flucht trieben. Auch diese gewaltsamen Vorgänge führten bereits zu ethnischer Mischung.
Um das Jahr 375 hatten die Hunnen geographisch und faktisch einen Punkt erreicht, der zu weiteren Kampf- und Siedlungsbewegungen im Westen führte und Machtverhältnisse änderte. Deshalb nimmt man dieses Jahr gemeinhin als Beginn der so genannten Völkerwanderung. Die "Kettenreaktionen" germanischer und slawischer Heeres- und Volksgruppen (Invasionen und Reichsgründungen) betreffen das ganze spätere Europa. Alanen, Alemannen, Angeln und Sachsen, Bajuwaren, Burgunder, Franken, Friesen, Ost- und Westgoten, Langobarden, Slawen, Sueben und Vandalen sind es vor allem, die in dieser Zeit das "europäische" Reichsgebiet neu aufmischen.
Das Ende dieser historischen Epoche wird erst zwei Jahrhunderte später erreicht: Ende des 6.Jh. endet die Herrschaft der Ostgoten in Italien. Aber noch bis in das 8.Jh. hinein halten sich Westgoten in Spanien und Langobarden in Norditalien als politische Einheiten. In dieser Epoche des 4.-6.Jh. vollzieht sich - im Lichte der abendländischen Geschichtsschreibung - der Übergang von der (Spät-)Antike zum (frühen) Mittelalter.