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Martin Luther

(* 10. November 1483 in Eisleben und † 18. Februar 1546 ebenda)

Der Reformator auf dem Hintergrund einer fesselnden Zeitenwende
Buchdruck und das Entstehen einer deutschen Schriftsprache
Ein Professor, wie er im Buche steht

Was war das für eine Zeit, in der Martin Luther lebte!

 

Der Reformator auf dem Hintergrund einer fesselnden Zeitenwende

Die Faszination, die Leben und Wirken dieses Mannes auf mich ausübt, ist nicht vorstellbar ohne die Einmaligkeit der Weltkulisse, die ihn umgibt. Wir stehen am Wendepunkt der Zeiten, in einer spannenden und widersprüchlichen Periode von Aufbruch und Beharrung. Das Mittelalter geht langsam aber sicher in die neuere Geschichte über. Wohin der Blick auch fällt in diesem Weltgeschehen, er trifft auf vertraute Namen und bekannte Ereignisse.

Zeitgenossen

Henry VIII.1491-1547, König von England seit 1509
François I. 1494-1547, König von Frankreich seit 1515
Karl V. 1500-1558, Kaiser ab 1519
Süleiman II. * ? † 1566, türkischer Sultan seit 1520

Vier kraftvolle Herrscher bestimmen die Geschicke Europas. Heinrich VIII. von England, Franz I. von Frankreich und Kaiser Karl V. , auf der anderen Seite Sultan Süleiman II . Nur das römische Machtzentrum zeigt sich mit wechselnden Päpsten in jämmerlicher Verfassung. Die gekrönten Häupter des Abendlandes koalieren oder befehden sich, wie es gerade passt. Und wo die Gestaltung des politischen Rahmens die Kräfte bindet, gewinnt die Reformation Zeit.

Eindrucksvoller als die noch so mächtigen Regenten wirken die Lichtgestalten des geistigen Lebens weit über Land und Zeit hinaus. Erasmus von Rotterdam, der Fürst des Humanismus oder Thomas Morus in England, Paracelsus, der Reformator der Medizin, Kopernikus, der Revolutionär unseres (bis dahin geozentrischen) Weltbildes, oder Melanchthon, der Universalphilosoph des 16.Jh. Klangvolle Namen der Kunst wie Michelangelo, Tizian, Raffael oder Dürer hallen bis heute nach, erst recht das Universalgenie eines Leonardo. Ohne die geistige Erneuerung im Humanismus und in der Renaissance kann ich mir auch die religiöse Erneuerung der folgenden Jahre nicht vorstellen.

Der Mensch drängt aus den Fesseln der mittelalterlichen Scholastik hinaus und ist zugleich gefangen in unendlicher Angst vor Tod und Fegefeuer. Die Kirche weiß das zu nutzen. Aber die Zeit ist reif. Kolumbus will nach Ostindien und erreicht Westindien. Die Entdeckung der Neuen Welt 1492 gerät zum symbolischen Beginn der Neuzeit, zum Aufbruch schlechthin.

In jenem Jahr war Martin Luther, gerade neunjährig, noch Schüler in Mansfeld, nahe Eisleben, und unter einem gestrengen Vater fest auf dem Boden der alten Welt verankert. Mit anderen Ideen kam er wohl erst fünf Jahre später in Magdeburg und dann Erfurt in Berührung. Seinem lebhaften Geist bot sich unendlich viel Nahrung, bis er zwei Jahrzehnte später jene Thesen veröffentlichte, deren Folgen nicht nur die kirchliche Welt erschütterten. Aber nur zu gerne wird Luthers Gestalt reduziert auf jenes Mönchlein, das 1517 in Wittenberg ein kritisches Papier an die Schlosskirchentür heftete und den Kirchengewaltigen zu trotzen wagte. Zumindest zwei weitere Aspekte seines Lebens sind es, die mich in historischer Hinsicht bewegen.

Buchdruck und das Entstehen einer deutschen Schriftsprache

Seit Mitte des 15.Jh. bereits hatte mit dem Buchdruck eine neue Epoche der Information und Kommunikation eingesetzt, eine Umwälzung ohnegleichen setzte ein. Um 1455 entstand die Gutenberg-Bibel (und zeitgleich in seiner Mainzer Werkstatt das erste Druckformular in Gestalt der Ablassbriefe). Die Wirksamkeit der reformatorischen Gedanken schon in den Jahren nach 1517 ist ohne die massenhafte Verbreitung von Luthers Druckerzeugnissen nicht denkbar. Die übersetzung des Neuen Testaments erforderte schon 1522 nach 3.000 verkauften Exemplaren eine 2. Auflage. Wenn man bedenkt, wer damals des Lesens mächtig war, so sind die 250.000 Exemplare allein seiner religiösen Traktate von 1518-1520 eine überaus beeindruckende Zahl. Den Rest der Popularität (heute würden wir von "öffentlicher Meinung" sprechen) besorgte die Dichte der Bevölkerung. In 250 Jahren war die Zahl der Städte in Mitteleuropa von 1.150 auf 5.000 gewachsen, da ließ ;en sich Nachrichten gut weitergeben. Das alles mochte wohl der geistlichen Herrlichkeit und auch den weltlichen Fürsten bedenklich erscheinen.

Zeitgenossen

Leonardo da Vinci 1452-1519
Dürer , Albrecht 1471-1528
Michelangelo (Michelangelo Buonarroti) 1475-1564
Raffael (Raffaello Santi) 1483-1520
Tizian (Tiziano Vecellio) 1488-1576
Kolumbus, Christoph (Christoforo Colombo) 1451-1506

Der Reichstag zu Worms 1521 endet mit der Reichsacht über Luther. Sein sächsischer Landesherr, Kurfürst Friedrich der Weise, nimmt ihn in Schutzhaft auf der Wartburg und ermöglicht so Luthers fruchtbarste literarische Schaffensphase. Er übersetzt das NT ins Deutsche - arbeitsaufwändig nach dem Urtext, der Vulgata und der Textausgabe des Erasmus. Besser gesagt: in die "Hochsprache der sächsischen Kanzlei", wie sie sich in seiner Region herausgebildet hatte. Damit trägt Luther Entscheidendes zu einer allgemeinen deutschen Sprache bei. (Die erste vollständige Bibel erscheint erst 1534.) Bibel und andere Schriften Luthers werden zur Grundlage der neuhochdeutschen Schriftsprache. Der Buchdruck macht's möglich.

Ein Professor, wie er im Buche steht

Zurück zu dem Bild des Mönchleins, das 1517 keineswegs ahnte, welche Lawine da in Gang gesetzt wurde, noch dies beabsichtigte. Martin Luther war zu dieser Zeit längst in Amt und Würden, eine geachtete Person des öffentlichen Lebens in der aufstrebenden Residenzstadt Wittenberg. Schon 1505 promoviert er nach seinem Grundstudium (Artistenfakultät) in Erfurt zum Magister artium und bricht noch im selben Jahr sein anschließendes Jurastudium ab. 1507 wird er zum Priester geweiht und studiert Theologie. Ein Jahr an der jungen Universität Wittenberg bringt ihn in seiner akademischen Laufbahn erheblich weiter. 1509 folgt der Baccalaureus biblicus. Luther gibt bereits Vorlesungen. Er lehrt in Wittenberg und Erfurt, wird aber 1511 nach Wittenberg geholt und gedrängt, die Doktorwürde zu erwerben. So übernimmt Dr. Martin Luther im Oktober 1512 sein Lebensamt, die biblische Professur.

Vielleicht ist es der Tatsache des reichhaltigen Schrifttums von und über Luther zu verdanken, dass man kaum einen akademischen Lehrer des jungen Hochschulwesens kennt, dessen Ringen um Erkenntnis so eindrucksvoll belegt ist und der dann so nachhaltig in Staat und Gesellschaft hinein gewirkt hat. Seine Wittenberger Thesen von 1517 gaben nur das Startsignal. Seine Vorlesungen, Schriften und Dispute zeugen vom Fortschritt im Sinne einer entstehenden Gedankenwelt. Er formuliert und vermittelt kraftvoll und überzeugend, gewinnt immer mehr Schüler. Was er als richtig erarbeitet hat, muss man ihm in der Sache widerlegen, nicht per Dekret vom Tisch wischen. Wie sollte dieser Mann in Worms widerrufen!

Zeitgenossen

Erasmus von Rotterdam(ab 1496 E. Desiderius) 1466/69-1536
Kopernikus , Nikolaus (Koppernigk) 1473-1543
Thomas Morus (Sir Thomas More) 1477/78-1535
Paracelsus , Philippus (Ph. von Hohenheim) 1493-1541
Melanchthon , Philipp (Ph. Schwarzert) 1497-1560

Nach der produktiven Klausur auf der Wartburg (für 10 Monate) gibt es Unruhen genug, um die Aufmerksamkeit der großen Politik zu binden. Bauernkrieg, Ritteraufstand und die Türken vor Wien lenken von Dr. Luther ab, der seine öffentlichen Ämter in vielfältiger Weise wahrnimmt. Er wird als Distriktsvikar seines Ordens, im Universitätsdienst, als Ratgeber, Vermittler und Gutachter gefordert. Und er nimmt mäßigend Einfluss auf Unruhen, die seine Lehre teils nur als Vorwand für ungezügeltes Freiheitstreben benutzen. Die Reformation kann sich in dem Jahrzehnt seit Worms formieren.

1530 wird es noch einmal brenzlig. Acht und Bann sind nicht aufgehoben. Nach zwei Reichstagen steht in Augsburg erneut die Konfessionsfrage an. Luther muss wieder monatelang abtauchen und versucht, von der Veste Coburg aus Einfluss geltend zu machen. Dem Freund Melanchthon gelingt eine Kompromissformel, Confessio Augustana . Doch Frieden bis zu seinem Tod erlebt Luther wohl eher dank den Wirren der großen Politik.

Die Pflicht ruft den gelehrten Professor Anfang 1546 nach Eisleben. Seit 20 Jahren krank und oft schlecht zurecht, folgt er doch dem Ruf und stirbt am 18. Februar in seiner Geburtsstadt mit den Worten "Wir sind Bettler. Das ist wahr!" Die Welt um ihn herum behandelt ihn weniger bescheiden. Ein Geleitzug von 50 Reitern bringt den Leichnam nach Wittenberg, wo er vier Tage später in der Schlosskirche beigesetzt wird.

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