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Harun "al-Raschid" –
Aaron der Gerechte

Der Höhepunkt im Abbasidenkalifat von 750-1258


Das Arabische Reich und die Abbasiden

Wer kennt sie nicht, die "Geschichten aus Tausendundeiner Nacht"! Das leibhaftige Vorbild dieses Märchenzyklus’ war Harun, der fünfte Kalif in der Dynastie der Abbasiden. Sein riesiges Reich erstreckte sich von Indien bis zum Atlantik.

Unsere auf Europa zentrierten Geschichtskenntnisse verhindern den Blick auf die Tatsache der kulturellen Überlegenheit des (östlichen) Restes der Welt. Das Abendland war im frühen Mittelalter eher ein "Entwicklungsland" im Vergleich zu den Hochkulturen Asiens und Arabiens. Auch in religiöser Hinsicht hätten die Christen viel von Toleranz und Großmut des Islam lernen können.

Der Handel und das kulturelle Leben konzentrieren sich auf den Mittelmeerraum und die Handelswege nach Indien und China. Die wichtigen nördlichen Anrainermächte des Mittelmeers sind im 8./9.Jh. Byzanz (dahinter das Bulgarische Reich), das Frankenreich (dahinter England) und das – arabische (!) – Emirat von Córdoba (Spanien). Den Rest der "zivilisierten Welt" bis hin zum Indus umfasst das Arabische Reich, das ab 750 von den Abbasiden beherrscht oder beeinflusst wird. Der Zerfall beginnt im Hochmittelalter und wird mit dem Mongoleneinfall 1258 endgültig besiegelt.

Omaijaden

Ein blutiger Umsturz im arabischen Machtzentrum kann nicht verhindern, dass der Omaijaden-Prinz Abd ar-Rahman I. flieht und einen vom Kalifat unabhängigen omaijadischen Staat in Córdoba bildet, der bald zu großer Blüte gelangt und arabische bzw. islamische Werte nach Europa trägt.

Ein Kalifenreich hatte schon seit 661 bestanden, zunächst unter der Dynastie der Omaijaden (mit Sitz in Damaskus). Deren Tradition setzt sich in Andalusien fort.

Der 1. Kalif der neuen Dynastie: der Abbasiden, Abu al-Abbas, soll von einem Onkel Mohammeds abstammen. Die große Blütezeit dieser Dynastie aber wird (von 786-809) durch Harun repräsentiert, einem Enkel des al-Abbas.

Harun – der märchenhafte Herrscher der arabischen Welt

Harun gewinnt seinen Beinamen "al Raschid" nach einem erfolgreichen Feldzug gegen Byzanz, das in der Zeit der abbasidischen Revolution Gebiete in Kleinasien zurückerobert hatte. Harun bedroht Konstantinopel 784 und zieht erst um den Preis einer jährlichen Tributzahlung der Griechen wieder ab. Innenpolitisch erbringt dieser Erfolg dem jungen Prinzen den ersten Platz in der Thronfolge, den sein älterer Bruder aber nicht freiwillig abtreten will. So muss nach dem baldigen Tod des Kalifen dieser Bruder selbst erst sterben. Man munkelt, die eigene Mutter habe dabei nachgeholfen. Harun al-Raschid besteigt 786 den Thron.

Nach der blutigen Vorgeschichte der Reichsgründung und dynastischen Querelen wird aus dem Reich der Abbasiden vorzugsweise von umsichtiger Staatsführung, von der Förderung der Kultur und vom Glanz eines überragenden Herrschers – Harun – berichtet. Was davon aufrichtige Geschichtsschreibung ist oder eher der Sagenwelt aus 1001er Nacht entstammt, bleibt dahingestellt. Jedenfalls betreibt Harun eine Politik, von der man in Abendland nur träumen könnte.

Eine wesentliche Weichenstellung erfolgt dadurch, dass Harun einen Wesir mit Namen Yahya, einen Perser, als "Generalbevollmächtigten" bestellt, der die Regierungsgeschäfte getreu wahrnimmt. Die innere Organisation des Staates und der Ausbau der Infrastrukturen verhelfen zu Sicherheit und Wohlstand. Der bedeutsame Ausbau des Rechtswesens wird mit dem Amt des "Kadis" in allen größeren Städten voran getrieben. Dem Kalifen aber bleibt Zeit zur kulturellen Erbauung.

Bagdad - Zentrum der Welt

Kultur des Ostens

Unter Harun gab es bereits die ersten Papiermühlen. Erst über 100 Jahre später gelangt diese Kulturtechnik nach Europa – via arabisches Andalusien, versteht sich!

Schon unter dem 2. Kalifen war die Hauptstadt von Damaskus nach Bagdad verlegt worden, einer Neugründung (762) zwischen Euphrat und Tigris, die in kurzer Zeit aus den Nähten platzt. In nur 50 Jahren wird sie zur mutmaßlich größten Stadt der Welt. Hier umgibt Harun sich mit Dichtern und Denkern und gilt selbst als gelehrter und redegewandter Mann. Aber nicht nur der Kalif, sondern alle mächtigen Männer des Staates (wie der Wesir) halten sich einen Hofstaat, zu dessen Markenzeichen es gehört, alles in seinen Bannkreis zu ziehen, was der geistigen Erbauung und der kulturellen Entwicklung dient.

Karl d.Gr. und der weiße Elefant

Die Geschichte vom weißen Elefanten gilt heute als gesichert. Eine Ausstellung 2003 in Aachen beschrieb anschaulich die Reise Isaaks 709-802, der u.a. dieses exotische Geschenk des Kalifen mitbrachte.

Geographisch betrachtet ist Bagdad ein "Reich der Mitte". Einerseits betreibt man von der Millionenstadt am Tigris aus Handel mit dem fernen Osten und tauscht dabei Kultur- und Wirtschaftsgüter, erwirbt Seide und Porzellan. Aber auch kriegerische Auseinandersetzungen konfrontieren mit fremdem Können. So übernimmt man zum Beispiel die Kunst der Papierherstellung von chinesischen Gefangenen. Auf der anderen Seite geht man davon aus, dass Harun zweimal Kontakt mit Karl dem Großen hatte – über Tausende von Kilometern und Jahresdistanzen hinweg vermittelt. Die Franken sollten den Abbasiden wohl als Gegengewicht zum feindlichen Byzanz gewogen bleiben.

Harun auf dem Höhepunkt arabischer Kultur

Unter den Abbasiden entwickelt sich die arabische Sprache zum Bindeglied eines unvorstellbar riesigen – islamisierten – Reiches. Von Ost bis West spricht man eine gemeinsame Sprache, eine Sprache des Rechts und der Erziehung (unter den Lehren des Koran). Die verbindende Kultur festigt das Reich und ermöglicht den Ausbau einer glanzvollen Metropole. Mit der Völker übergreifenden Expansion der Araber kommen Morgenland und Abendland in fruchtbaren Kontakt. Zugleich aber wird das kulturelle Erbe der Antike neu belebt.

Harun fördert Kunst und Wissenschaft wie niemand zuvor. Er holt die fähigsten Köpfe an seinen Hof und schafft – mental und materiell – das Ambiente, in dem eine Hochkultur gedeihen kann. So lernen die Araber aus alten Schriften das Wissen der Antike und des zeitgenössischen Byzanz, bewahren es durch ein neues, reiches Schrifttum und führen es fort – in der Philosophie, der Astronomie oder der Medizin. Dazu verhilft Harun der Dichtkunst zu nachhaltigem Aufschwung; schöngeistig oder streng, rhetorisch geschliffen, wird die Kunst der Rede gepflegt. Neben dem vergänglichen Prunk und sagenhaften Reichtum des beginnenden "Goldenen Zeitalters" Arabiens werden dauerhafte kulturelle Werte geschaffen. So erklimmt Harun den Höhepunkt abbasidischer Macht und Kultur und legt den Grundstein ihrer weiteren Entfaltung, die das Abbasidenkalifat weit überdauert und die abendländischen Denker bis ins späte Mittelalter stark beeinflusst.

Nicht wie im Märchen, sondern blutig wie die Vorgeschichte endet die Vita Haruns – etwa 45jährig – im Jahre 809, während seine beiden Söhne nicht darauf warten können, seine Nachfolge anzutreten. Ein gefährlicher Aufstand im Osten Persiens ist niederzuschlagen. Harun pflegt Kriegszüge selbst anzuführen. Den Rädelsführer lässt Harun der Überlieferung nach scheibchenweise klein hacken, zur Strafe dafür, dass er den kranken Herrscher außer Haus gezwungen hatte. Tags darauf ist auch für Harun die Zeit auf Erden vorüber.


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