Home › Familien › Grebenstein-Essen › CHRONIK › Kapitel V
Menschen, die - wie unsere Vorfahren in Grebenstein - über Grundbesitz verfügen, können sich bis zu einem gewissen Grad selbst ernähren. Doch auch unsere Familie vermehrt sich fruchtbar, wie es in der damaligen Zeit üblich war, und Land ist nicht beliebig teilbar oder gar vermehrbar. Arbeit für alle (überlebenden) Kinder zu finden, zumindest die Jungen in ein gesichertes Arbeitsleben zu führen, wird zunehmend zur Herausforderung einer sich wandelnden Gesellschaft. Unsere Ahnen des 18. Jahrhunderts finden zunächst noch ihr Auskommen im angesehenen Handwerk, das in Grebenstein dominiert. Selbst die Töchter Dringenberg heiraten oft innerhalb derselben Zunft. Doch bald zählen auch sie zu den Opfern der Neuerungen, die sich mit der aufkommenden Industrialisierung verbinden.
Man beginnt sich neu zu orientieren, drängt – nolens, volens – aus der vertrauten Stadt hinaus, zunächst in die nahegelegenen Dörfer und bald in die weite Ferne. Dabei werden zwangsläufig andere Berufe erforderlich und auch einfache Tätigkeiten zum bloßen Überleben in Kauf genommen, vom Ackerknecht auf dem Dorf bis zum Industriearbeiter in den entstehenden neuen Zentren.
Wer Gerhard Hauptmanns (1862 – 1946) soziale Tragödie "Die Weber" kennt, hat eine Ahnung vom Umbruch der Zeiten, in denen Handarbeit an Bedeutung verliert oder nur noch als Zuarbeit auf Maschinen ausgerichtet einen produktiven Sinn ergibt. In der frühen Phase der Industrialisierung profitieren unsere Leineweber noch von den Bedingungen des Merkantilismus nach preußischem Vorbild. Leineweberei, Tuchherstellung, Glasmanufakturen u.ä.m. bedeuten Ende des 18. und Anfang des 19. Jh. noch sicheres Brot. Doch der lohnabhängige Weber verarmt. 1844 kündet der Weberaufstand in Schlesien davon. Wie der mechanische Webstuhl, Spinnmaschine oder Dampfmaschine für neue, oft grausame Tatsachen sorgen, so werden generell, etwa durch Entdeckung der Bodenschätze und Ausbau der Verkehrswesens, Menschen in Not und – zum Broterwerb – auf Wanderschaft getrieben.
Inwieweit das Alltagsleben unserer Vorfahren darüber hinaus von den kontinentalpolitischen Ereignissen mitbestimmt ist, können wir bis auf die unmittelbaren Kriegsfolgen nur vermuten. Immerhin befinden wir uns nun in der Zeit der Revolution - und später der Restauration. Erneut rüttelt eine geistige und kriegerische Erschütterung an den Grundfesten Europas. Die Französische Revolution beginnt 1789 und sorgt bis zum Wiener Kongreß 1815 für vielfältige Unruhe auch beim einfachen Bürger (nicht nur) in Hessen.
Die Zeit Napoleons: Mit dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803 avanciert der Landgraf von Hessen-Kassel zum Kurfürsten. Er schließt sich dem Rheinbund Napoleons nicht an. So marschieren die französischen Truppen bald ein, und der Kurfürst muß fliehen. Am 1.11.1806 werden Kassel und Umgebung besetzt. Grebenstein erfährt die zweifelhafte Ehre zentralörtlicher Bedeutung als "Canton" im Königreich Westfalen – mit einem Maire an der Spitze - und muß kaiserlich-französische Husarenregimenter beherbergen.
In diesem vorübergehenden Staatsgebilde ist Kassel die Hauptstadt, in der Napoleons Bruder Jérome regiert. Daß diese Phase Anlaß zu mancher Spottgeschichte bot, täuscht nicht darüber hinweg, daß unsere einfachen Bürger manche befremdlichen Gewohnheiten und Ordnungsmaßnahmen - in einer fremden Sprache - über sich ergehen lassen mußten. Am Rußlandfeldzug Napoleons 1812 müssen auch junge Grebensteiner teilnehmen, nur zwei der 23 Soldaten aus Grebenstein kehren zurück.
Ein Jahr später endlich ist der ganze Spuk vorüber. An den Freiheitskriegen gegen Napoleon 1813/14 mit Höhepunkt in der sog. Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813, wo Hunderttausende aufeinander prallen, nehmen auch 95 Grebensteiner teil. Uns ist nicht bekannt, wie viele dabei ihr Leben lassen. Napoleon zieht sich über den Rhein zurück.
In dieser bewegten Zeit können wir wiederum über drei weitere Generationen Dringenberg berichten und erreichen damit – ganz im Sinne des oben skizzierten sozialen Wandels - das Ende unserer Zeit in Grebenstein (unsere Linie und andere wandern also aus). Doch zunächst ist in der 10. und 11. Generation Dringenberg/Drengenberg eine geographische Mobilität nur kleinräumig nachweisbar.
Unsere 10. Generation ist mit dem Namen Johann Henrich verbunden, dem jüngsten Sproß von Bernhard Georg. Er wird am 16. Januar 1743 geboren, bringt es zum Leinewebermeister und liegt damit im Trend der Zeit. Er heiratet 1770 im Alter von 27 Jahren Anna Margarethe Emde (* 24.6.1742 , † 1808). Johann Henrich stirbt am 8. Dezember 1793 im Alter von nur 49 Jahren. Mit ihm schließen wir in unserer Darstellung das 18. Jh. ab. Seine Witwe überlebt ihn um 15 Jahre und wird 65 Jahre alt.
Aus der Ehe sind uns drei Kinder überliefert, die zwischen 1771 und 1778 geboren werden: Henricus, der unsere Linie fortsetzen soll, Johann Christoph und Martha Elisabeth – bemerkenswert wenige, wenn man bedenkt, daß die Aufzeichnungen dieser Zeit schon deutlich zuverlässiger (vollständiger) sind.
Immerhin war man nicht gezwungen, sein Kind beim Pfarrer eintragen zu lassen. Und so manches Mal verschwieg man bei Eintragung in früherer Zeit gewisse Details – wie etwa den Namen des Vaters. So sind wir froh, daß unsere Linie diesbezüglich lückenlose Daten aufweist, wenngleich wir den Wahrheitsgehalt der Eintragungen nicht klären können.
Henricus ist also unsere 11. Generation. Er wird am 5. April 1771 geboren und ergreift den Beruf seines Vaters, er wird Leineweber. Die Chroniken verzeichnen ihn auch als Bürger der Stadt. Mit Henricus erreichen wir außerdem eine Quellenlage, die nunmehr durch deutsche Amtssiegel in einem Familienstammbuch (genannt "Ahnenpaß" im Deutschen Reich 1941) testiert wird. Dort ist er als Leinewebermeister eingetragen.
Henricus heiratet ein erstes Mal im Jahre 1797, da ist er 26 Jahre alt, nämlich Margarethe Elisabeth Roose (* 1772, † am 1.2.1815). Was das Stammbuch nicht hergibt, verrät uns das Kirchenbuch. Nachdem Vater Henricus im Alter von knapp 44 Jahren Witwer wird (seine Frau war ein Jahr jünger als er), heiratet er im selben Jahr ein 2. Mal, und zwar Catharina Elisabeth Bergmann (* 2.7.1781, konfirmiert 1795, † 1829). Diese Ehe bleibt wohl kinderlos, immerhin ist Catharina bei Eheschließung auch schon rund 34 Jahre alt. Bei ihrer Beerdigung 14 Jahre später mit 47 Jahren wird ihr die Ehre zuteil, daß "die große Glocke geläutet" wird. Von Henricus ist aufgezeichnet, daß er 1806 Steuer zahlt, "ein Geschoß von 11 alb." Henricus´ Tod ist nach dem Stammbucheintrag auf den 22. Oktober 1842 zu datieren.
Aus der Verbindung mit Margarethe stammen zwischen 1798 und 1808 sechs Kinder, und wieder setzt der Erstgeborene, Johannes, unsere Linie fort. Ihm folgen Johann Christoph, Anna Barbara, Anna Gertrud, Henricus (*1805, nach dem Vater) und Anna Margarethe.
Mit Henricus, also der 11. Generation, ist unser letzter Ahnherr seinem Heimatort Grebenstein ein Leben lang treu geblieben. Für die übrige Familie bzw. Verwandtschaft dort ist dies so nicht nachweisbar. Immerhin liegt die Vermutung nahe, daß mancher Dringenberg (Drengenberg), dessen Todesjahr in den Annalen nicht aufgeführt wird, an anderem Ort starb – wohl auch ohne daß kriegerische Hintergründe vermutet werden müßten.
Ab der 10. Generation ist außerdem eine lokale Mobilität - hin zum Dorf Udenhausen (heute Stadtteil Grebensteins) - zu registrieren, wo auch im 21. Jh. noch Drengenbergs leben. Andere Verzweigungen "wandern" – wie unsere Linie in der 12. Generation - in den 1860er Jahren nach Schachten (ebenfalls Ortsteil heute) mit einem Dispens, der für ein Jahr gilt (Heinrich Dringenberg/Drengenberg).
Eine andere Spur (Johannes D.) führt in diesen Jahren nach Bremen, "Dispens für 3 Jahre". Und 1870 geht schließlich, ebenfalls mit Dispens für drei Jahre, eine Linie nach Dortmund (George Friedrich D.). Gemeinsamer Vater dieser drei Auswanderer ist Johann George, der schon in Udenhausen geboren wurde und mit dem wir nur über die 7. Generation verwandt sind: Sie sind ebenfalls Nachfahren von Arend, stammen von seinem 2. Sohn Johannes ab.
Unsere genealogischen Aufzeichnungen enden, was den Raum Grebenstein (Udenhausen) anbelangt, mit der 14. Generation in den 1920er Jahren.
Historisch befinden wir uns zunächst in der Epoche der Restauration (1815 bis 1848). Das in viele kleine und große Landesherrlichkeiten aufgeteilte Römisch-deutsche Reich ist nach dem Wiener Kongreß ein Obrigkeitsstaat mit mehr oder minder ausgeprägtem Reformwillen, man spricht vom aufgeklärten Absolutismus. Auflehnung gegen diesen Obrigkeitsstaat liegt in der Luft: 1817 das Wartburgfest der deutschen Studenten, die der Reformation und der Völkerschlacht gedenken; 1832 das Hambacher Fest des süddeutschen Liberalismus.
Doch die Bewegung der Revolution in Frankreich von 1848 ergreift Deutschland in vergleichsweise gemäßigter Form und nicht als Aufstand proletarischer Massen, sondern ist eher vom Bürgertum getragen. Dennoch beginnt 1848 eine neue Zeit - mit der Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche.
In dieser unruhigen Zeit, in der das politische und wirtschaftliche Leben Deutschlands und Europas nachhaltig umgekrempelt wird, nimmt überall die Mobilität spürbar zu. Sofern nicht ohnehin eine innere Kolonisation wie im gesamten preußischen Staatsgebiet mit 900 Dorfgründungen stattfindet, die Hunderttausende in Bewegung setzt, gibt es landesherrliche Maßnahmen, die für Unzufriedenheit sorgen, indem z.B. Soldaten wie Handelsware an Dritte weitergereicht werden. Eine Welle von Auswanderungen beginnt. Amerika steht dabei vornan. Tausende und Abertausende ziehen Jahr für Jahr davon, insbesondere in den 30er und 40er Jahren des 19. Jh. nimmt diese Bewegung zu.
Auch die Bevölkerungszahl der Stadt Grebenstein ist im fortgeschrittenen 19. Jh. rückläufig. Waren es nach dem Siebenjährigen Krieg noch rund 1.500 Einwohner, stieg die Zahl zunächst an auf über 2.000 – mit einer wachsenden Zahl an Militärpersonen – und erreicht 1849 2.605. 1910 sind es nur noch 2.210. In diese Wanderungsbewegung fällt (in moderater Form) auch die Abwanderung unseres Zweiges der Familie Dringenberg aus Grebenstein. Sie fand offensichtlich schon vor den schlimmen Hungerjahren (Mißernten) von 1846 – 1848 statt (vgl.u.: Johannes).
Für allerdings nur eine Generation geht die Familiengeschichte in Bad Sooden-Allendorf (heutiger Name) an der Werra weiter, bleibt hier also noch dem hessischen Boden verbunden. Man kann dies eine Zwischenstation nennen, die allem Anschein nach vor Ort nicht weitere oder bleibende Früchte trug, denn unser Name kommt nach den bisherigen Recherchen dort nicht mehr vor. (Informationen im Internet)
Unsere 12. Generation wird noch in Grebenstein geboren: Johannes Dringenberg kommt am 1. Juni 1798 zur Welt und ist insofern das erste echte Kind des 19. Jahrhunderts. Johannes wird sogleich (am 8. d.Mts.) getauft. Sein Pate ("Gevatter") ist Johannes Roose aus der Familie seiner Mutter Margarethe. In den Grebensteiner Chroniken findet man ihn noch als Bürger und Leineweber verzeichnet, demnach bleibt er bis ins Mannesalter vor Ort.
Wann es Vater Johann nach Allendorf an der Werra zieht, ist uns also nicht bekannt. Doch er heiratet bereits dort, nämlich am 6. Juli 1845, im vergleichsweise hohen Alter von 47 Jahren. Als Beruf wird Weißbinder/Leineweber eingetragen. Seine Frau ist Martha Katharina Märten aus Allendorf, mit 30 Jahren bei Eheschließung ist sie 17 Jahre jünger als er.
Wir wissen nicht, ob sie schon vorher andere Kinder bekamen, doch unsere Linie wird erst nach acht Jahren Ehe 1853 mit Johannes (nach seinem Vater) fortgesetzt. Martha stirbt drei Jahre später im Alter von 41 Jahren († 15.9.1856 in Allendorf).
Johannes der Ältere lebt (zumindest) von seiner Heirat an 20 Jahre vor Ort. Er stirbt am 9. September 1865 dortselbst. Sein Sohn Johannes zieht weiter ins ferne Ruhrgebiet.